Matthias Frey | ||||||
Matthias Frey – "unfertig" | ||||||
Objekte | Michael Hübl Eröffnungsrede, Chelsea Galerie, Laufen, 21. März 2010 Matthias Frey – "unfertig" Die deutsche Sprache besitzt die Eigenschaft, dass sich mit einem gewissermaßen negativ gepolten Begriff etwas Positives benennen lässt. Unbestechlich oder unbesiegbar sind solche Adjektive, die auf Menschen anzuwenden wären, denen unsere Anerkennung, wenn nicht gar Bewunderung gilt. Eine der jüngsten Kreationen auf diesem Gebiet ist das Wort unkaputtbar. Mit unkaputtbar wird scheinbar absolute Robustheit garantiert und gleichsam bombensichere Haltbarkeit in Aussicht gestellt. Früher hätte man wahrscheinlich unverwüstlich gesagt. Die sprachliche Methode war die gleiche: Es werden negative Vorzeichen gesetzt, um höchst positive Signale zu geben. Exakt so verhält es sich mit dem Titel, den Matthias Frey dieser Ausstellung gegeben hat: „Unfertig“. Auch hier wird ein Positivum benannt. Das mag zunächst überraschen, denn wenn eine Sache oder ein Mensch als unfertig charakterisiert werden, dann wird mit diesem Attribut auf einen Mangel verwiesen. Unfertig ist gleich unvollkommen. Aber lässt man die negative Vorsilbe weg und betrachtet allein den Ausdruck fertig, so zeigt sich eine bemerkenswerte Ambivalenz. Fertig kann so viel heißen wie parat, wobei sich hinter dieser Bedeutung eine doppelte Botschaft verbirgt: Etwas muss ausgereift, durchgearbeitet, eben fertig oder fertiggestellt sein, um fertig, also bereit oder parat sein zu können. Erst wenn es so weit ist, erst wenn alles stimmt, kann jemand an die Startlinie treten und rufen: „Auf die Plätze. Fertig. Los!“ Im Sport ist dieser Ruf gang und gäbe. Dort dient er, manchmal begleitet von einem Pistolenschuss, als verbaler Anlasser, um die biologischen Motoren eines Rennpferds, eines Hürdenläufers oder einer Schwimmerin schleunigst auf Touren zu bringen. Überträgt man nun diesen herausfordernden Dreischritt „Auf die Plätze. Fertig. Los!“ auf das alltägliche Leben, dann ist man sehr bald dort, wo der forsche Begriff fertig in sein Gegenteil kippt. Der energieprotzende Aufbruchselan und das kraftdröhnende Voranpreschen weichen der Ermüdung, schlagen um in Erschöpfung. Jemand ist fertig heißt jetzt: Er oder sie kann nicht mehr, ist abgeschlagen, ausgebrannt, am Ende. Vor diesem Hintergrund rückt der Titel dieser Ausstellung in ein neues Licht. Er leuchtet heller, weil er seine negativen Konnotationen verliert. „Unfertig“ – das klingt mit einem Mal wie ein optimistisches Versprechen. Denn: Wie stünde es um die Kunst, welchen Anspruch auf Wahrnehmung dürfte sie erheben, wenn sie ausgelaugt und aufgebraucht, schwach und matt daherkäme? Wenn sie einfach nur total fertig wäre? Es gab eine Zeit, da war es unter Kunsthistorikern und ästhetischen Connaisseurs gang und gäbe, dieses oder jenes Werk als epigonal zu bewerten. Die Bezeichnung epigonal sollte das Meisterhafte gegen stumpfes Nachahmertum abgrenzen, zugleich diente sie dazu, Missliebiges beiseite zu schieben. Insofern wirkte das Wort epigonal wie eine Verbalwaffe. Und doch enthält es einen wichtigen Hinweis auf das von der Moderne geprägte Verständnis von Kunst. Denn: Kunst, die darauf abzielt, als Darstellung, Kommentar oder Denkanstoß ernst genommen zu werden, muss heute Authentizität aufweisen. Sicher, längst hat es sich etwa die Appropriation Art zur Methode gemacht, bekannte Werke zu replizieren und in einen neuen Kontext zu setzen. Doch trotz solcher Konzepte bleibt die Erwartung, dass Kunst aus der lebendigen, unmittelbaren Auseinandersetzung des Künstlers mit einem Thema, mit einer Problematik oder allgemein gesprochen: mit den Realitäten einer Epoche entstehen soll. Das wäre an sich schon zu viel, um auf einen einzigen Punkt gebracht zu werden. Zudem hat die Geschichte, haben die komplizierten Verhältnisse der Gegenwart und nicht zuletzt die wechselnden Erkenntnisse der Wissenschaften deutlich gemacht, dass mit monokausalen Erklärungen nichts zu gewinnen ist. Folglich kann auch ein Kunstwerk keine absoluten Aussagen treffen. Es muss also notwendig zumindest in irgendeinem Punkt unfertig sein. Wenn ich hier schon eine Weile zwischen fertig und unfertig hin- und herpendele und dabei auch noch diverse Mehrdeutigkeiten streife, dann haben diese Anmerkungen selbstverständlich mit dem Umstand zu tun, dass Matthias Frey immer wieder Sprachelemente in seine Arbeiten miteinbezieht. Er spielt mit der Sprache, wobei er sich ihr anagrammatisches Potenzial zunutze macht. Will sagen: Die Buchstaben eines Wortes werden so umgestellt, dass sich ein anderer Begriff ergibt. Aus NO beispielsweise wird ON, das heißt: Er bedient sich einer Sonderform des Anagramms, nämlich des Palindroms, das sich vorwärts wie rückwärts lesen lässt – „Oh Du, Geliebte meiner 27 Sinne,…, du bist von hinten wie von vorne A---N---N---A“, dichtete Kurt Schwitters in seiner Dada-Ode an Anna Blume. Und was macht Matthias Frey? Er wird not-wendig. Er wendet die Vokabel Not um und verwandelt sie in das Substantiv Ton. Dahinter verbirgt sich nicht nur ein Spiel mit Buchstaben, die wie Kiesel in einem Bachbett durcheinander rollen und neue Bedeutungs-Konstellationen ergeben, sondern das geht direkt in den Fluss des Lebens. Der Ton, der da als einsilbiges Wort ins Blickfeld gerückt wird, hat einen biografischen Untergrund: Bevor Matthias Frey im Jahr 1976 sein Studium an der Kunstakademie Karlsruhe aufnahm, hatte er eine Lehre als Töpfer und Keramiker bei Horst Kerstan in Kandern abgeschlossen. Nach der Gesellenprüfung hat sich Frey dann noch eine Weile beruflich mit dem Material befasst, das in seinem Rohzustand fast wie ein Synonym für das Unfertige dasteht: Ein Klumpen Ton, das ist Urmaterie, das ist der Stoff aus dem in archaischer Zeit Schöpfungsmythen erwuchsen. Plumpe Masse, die nur darauf wartet, dass ihr Leben eingehaucht wird. Dieses Leben, also alles Lebendige von den Bakterien bis zu den Bäumen, von den Mikroben bis zu den Menschen mag in seiner Gesamtheit vollkommen, sprich: fertig sein, das einzelne Leben jedoch erweist sich notwendigerweise immer als unfertig. Alles, was in die Rubrik Biologie gehört, ist fortwährende Bewegung, ein metabolischer Prozess. Im Deutschen stehen für diesen Vorgang Begriffe wie Kreislauf oder besser: Stoff-Wechsel zur Verfügung, und beide signalisieren stete Veränderung, Umwandlung. Nichts bleibt immer und in jedem Augenblick dasselbe: Das ist die Erkenntnis, aus der das anekdotische παντα ρεΐ sprudelt – dieses „Alles fließt“, das dem vorsokratischen Philosophen Heraklit ebenso zugeschrieben wird wie der aus der gleichen Denkquelle gespeiste Satz: Niemand steigt zweimal in denselben Fluss. Denn das Wasser rauscht weiter, strömt gemächlicher oder rascher, und war es vorher ruhig, kann es plötzlich gegen Ufermauern schlagen, schwappt über, spritzt auf. Mitunter scheint es, als hätte Matthias Frey gleichsam einige dieser Spritzer in seiner Kunst aufgefangen. Und als seien diese Spritzer schlagartig erstarrt und ausgehärtet wie in der Bodenarbeit „NOT“ (oder englisch „not“ – das ist ja nicht definiert; eigentlich ein unfertiger Titel). Wie Tropfen liegen sie da, die kleinen Elemente, die das ausgesparte Wort „NOT“ (oder „not“?) einfassen. Wie hingeperlte Tropfen liegen sie da, und sind doch mineralisch hart, weil aus Sanitärporzellan gefertigt, was nun wiederum sehr viel mit Flüssigkeiten zu tun hat – um sich dessen zu vergewissern, genügt ein Gang ins Badezimmer oder ein Blick in die Kunstgeschichte. Denken Sie an das Urinal, das Marcel Duchamp 1917 in New York unter dem Titel „Fountain“ ausstellen wollte. Duchamps Objekt ist freilich weniger eine Sache der Not als der Notdurft – ein Thema, über das sich eine eigene Kunstgeschichte schreiben ließe. Erst kürzlich erwarb das Museum der bildenden Künste in Leipzig das Gemälde „Der pinkelnde Tod“ von Max Klinger; das 1880 entstandene Werk zeigt eine feinfühlig gemalte Flusslandschaft, sattgrüne mächtige Bäume, einen breiten Strom, und an einem der beiden Ufer steht, lässig an seine Sense gelehnt, Gevatter Tod und schlägt sein Wasser ab. Wie meinte doch Herkalit: Man steigt niemals in denselben Fluss. Vor Klingers Bild mit dem „pinkelnden Tod“ erhält dieser Satz eine ganz eigene Plausibilität. Das nur als Aperçu am Rande. Zurück zu Matthias Frey und zu seinen porzellanweiß glänzenden Tropfen, die er hier in Laufen auch als solitäre Gebilde ausstellt, ohne Bezug zu einem Wort. Es ist in diesem Zusammenhang erforderlich, nochmals die Antike heranzuziehen. In einer seiner Abhandlungen schreibt der Mediziner Hippokrates, das Leben sei klein, die Kunst groß. Diese im übrigen noch umfangreichere Feststellung hat einige Jahrhunderte später der Philosoph Seneca aufgegriffen, durch den sie bis heute im allgemeinen Gedächtnis geblieben ist: vita brevis ars longa konstatiert er in seinem Essay über die Kürze des Lebens (De brevitate vitae). Ursprünglich sollte mit dieser Bemerkung zum Ausdruck gebracht werden, dass ein Leben oft gar nicht ausreicht, um wahre, unübertrefflich exzellente Kunstfertigkeit zu erlangen. Aber man kann den Topos vom ungleichen Verhältnis zwischen Leben (vita brevis) und Kunst (ars longa) auch so interpretieren, dass zwar alles Leben vergänglich ist, die Kunst aber bleibt und die Zeiten überdauert. Daher das Streben, Werke aus Bronze, Marmor, ja Granit zu schaffen – denn so anfällig diese Stoffe gegen Kriegsschäden oder Luftverschmutzung, Erdbeben oder Bilderstürmer sind, so darf ihnen doch eine gewisse substanzielle Haltbarkeit unterstellt werden. Hier nun ergibt sich spätestens seit der Moderne ein kritischer Punkt – ein Punkt, den Matthias Frey mit seinen Arbeiten sehr genau trifft. Was nämlich hat es mit der Dauerhaftigkeit der Kunst noch auf sich, wenn sie, die Kunst, nicht mehr – wie vielleicht in früheren Epochen – den Anspruch erhebt, durch unumstößliche Materialien letztgültige Botschaften zu vermitteln? Was, wenn die Kunst ihre eigene Bedeutung insofern relativiert, als sie sich nurmehr als Teil, als Einzelbeitrag im Konzert der möglichen Weltdeutungen versteht, und wenn aus dieser Haltung heraus die materielle Beständigkeit der Kunst sekundär wird? Marcel Duchamps „Fountain“ landete, so vermutet man, auf dem Müll – klar, die Provokation, um die es ging, war erreicht. Und wie vieles von dem, was später kam – Dada oder Fluxus oder die Konzeptkunst – nahm (und nimmt) erst einmal den Augenblick und das, was gerade akut ist, und nicht die Ewigkeit ins Visier. Mithin bewegt sich die Kunst der Gegenwart in einem Spannungsfeld. Wie bereits erwähnt, macht sich die Kunst zwar nicht mehr anheischig, absolute, unverrückbare, unhinterfragbare Wahrheiten zu verkünden. Sie kann diese Entwicklung so weit treiben, dass sie (wie jüngst Timo Seghal im Guggenheim New York) auf alles Materielle verzichtet und einzig auf die Vorstellungskraft und auf das Erinnerungsvermögen der Menschen setzt. Dort aber, wo sie nach Gestaltungen sucht, muss sie ihre Position finden zwischen Festlegung und Offenheit. Oder um es mit dem Titel dieser Ausstellung zu sagen: zwischen fertig und unfertig. Just diesen Zwischenzustand bringt Matthias Frey auf den Punkt. Etwa wenn er den Begriff HALT in einer Weise inszeniert, dass einem ziemlich wackelig, ja haltlos zumute wird. Das Wort sieht aus, als seien die Lettern mit ein paar hingeklatschten Klacksen einer amorphen Masse mühsam zusammen gehalten worden, um dann doch noch aus dieser Fassung herauszufallen. Frey führt eine durchaus labile, zuinnerst unfertige Situation vor Augen und demonstriert damit das Grundprinzip, das Geheimnis seiner Arbeit. Es erhält bei ihm das Unfertige Form. Das Unfertige erhält Form: und zwar so, dass es einerseits Dauerhaftigkeit gewinnt, andererseits Offenheit bewahrt – wie sich vielleicht am besten an einer Arbeit nachvollziehen lässt, die einigermaßen untypisch ist für das Gesamtwerk Freys. Sie zeigt zwei Kinderschühchen auf einer kleinen, knapp brusthoch an der Wand befestigten Konsole. Typisch ist das Material: Sanitärporzellan, ungewöhnlich hingegen der direkte Realismus der putzigen Fußbekleidung. Hier gibt es nichts Prozesshaftes, Bewegtes, alles ist komplett und eindeutig ausmodelliert. Aber das Fertige wird zum Symbol des Unfertigen. Denn, wie alle wissen, die einmal klein waren, ist ein Kind zugleich fertig und unfertig – so wie jeder hier im Raum gleichzeitig der ist, der er war und der er sein wird. Oder um es zuguterletzt mit einer Anspielung auf Heraklit zu sagen: Niemand steigt je in denselben Schuh. Michael Hübl Laufen, 21. März 2010 Text als PDF www.chelsea-galerie.ch |
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